Nehmen wir einmal an, die Bank hat Ihren Kredit gekündigt und Sie beschließen daher, dieselbe kurzerhand zu überfallen. Oder, noch rigoroser, Ihre Schwiegermutter sitzt auf einem beträchtlichen Vermögen und Sie greifen mit Gift im abendlichen Schnäpschen dem natürlichen Gang der Dinge etwas vor. Sie wissen schon, was Sie erwartet, nicht wahr? Nämlich lange Jahre hinter dem, was der Volksmund schwedische Gardinen nennt.
Aber wenn ich auch Ihre Handlungsweise selbstverständlich verurteile: Es gibt Hoffnung. Schließlich haben Sie die Tat aus wirtschaftlichen Gründen begangen. Und vielleicht war es Ihnen auch keinesfalls zuzumuten, sich moralisch und gesetzestreu zu verhalten, nicht wahr? In diesem Fall gehen Sie nämlich straffrei aus!
Sie glauben es nicht? Sie sollten es aber! Sie müssen vor Gericht lediglich erklären, Sie hätten ethische Gesichtspunkte und menschliche Nutzungsinteressen gegeneinander abgewogen. Außerdem seien andere Verfahren – in diesem Fall etwa die Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit – für Sie „noch nicht praxistauglich und zudem mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden“.
So jedenfalls das Oberverwaltungsgericht Münster in einer aktuellen Entscheidung. Ach ja: Es ging eigentlich um einen von den Richtern gekippten Erlass des Umweltministeriums Nordrhein-Westfalens, der das Schreddern von männlichen Hühnerküken untersagen wollte. Davon nämlich wandern jährlich rund 50 Millionen unmittelbar nach dem Schlüpfen lebendigen Leibes in den Fleischwolf. Für die Quälerei in den Legebatterien sind sie ja per Geschlecht untauglich, also weg damit.
Nun wird sich manchem bei der Gegenüberstellung der bösen Schwiegermutter einerseits und der süßen Federbällchen andererseits ohnehin die Frage, was (un-)moralischer ist, gar nicht mehr stellen. Allerdings ist zu befürchten, dass die Hoffnung, die ich eingangs verbreiten wollte, nicht so wirklich tragfähig ist. Denn die genannten Argumente, also die wirtschaftlichen Interessen und die völlig unzumutbare Anstrengung, einen anderen Weg zu gehen, gelten selbstverständlich vorerst nur für die Großbrütereien und die Massenfleischindustrie.
Sie als Privatfrau oder –mann werden vermutlich doch aus Furcht vor Strafe von Ihrem Vorhaben, sich die Taschen voll zu stopfen, Abstand nehmen müssen. Es sei denn, Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU), der vehement gegen ein Verbot der Massentötung anrennt, wird bei der nächsten Kabinettsumbildung Bundesjustizminister. Und die Richter aus Münster klettern nach diesem epochalen Kniefall vor den gewerblichen Tierquälern die Karriereleiter bis in den Bundesgerichtshof hinauf. Dann, liebe Freunde, fragen wir noch einmal nach. Vielleicht wird ja dann zumindest der Bankraub unter den genannten Bedingungen für straffrei erklärt.
Ach ja: In Bio- und Naturkostläden oder im Hofverkauf werden gelegentlich auch Produkte der Bruderhahn-Initiative, des Haehnleinprojektes oder der Initiative "Ei care" verkauft. Hähnchen also, die zumindest halbwegs erwachsen werden durften. In diesem Sinne könnte man ja auch die Schwiegermutter kurz mal anstelle mehr oder weniger roher Gewalt nach einem Überbrückungskredit fragen.
Rainer Rehbein