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  • Feldhasen auf dem Rückzug

    Hat die niederrheinische Hasenpopulation eine Chance?

    Wer möchte schon als „Angsthase“ oder „Hasenfuß“ beschimpft werden? Dabei kann man solche Verbalscharmützel ganz gelassen hinnehmen. Denn: Der Volksmund ist hier ziemlich ahnungslos. Unsere Feldhasen sind nämlich alles andere als Schissbuxen. Vielmehr sind Mümmelmann und –frau echt nervenstarke Vierpfoten-Flitzer. Ihre Fressfeinde wie Fuchs und leider auch ausgebüxte Gassi-Geh-Hunde lassen sie verdammt nah herankommen. Hasen verlassen sich sehr, sehr lange auf ihre Tarnung, wenn sie mit angelegten Ohren und eingezogenem Stummelschwanz sich mucksmäuschenstill ganz flach auf den Boden drücken. In der Regel in ihren Sassen; selbst gescharrte flache Mulden. Die Tarnung ist so perfekt, dass dann auch erfahrene Naturgucker mit Hochleistungs-Ferngläsern die Tiere nur sehr schwer ausmachen können.

     

     Meister Lampe

     Meister Lampe ganz nah.

     Foto: Peter Malzbender

     

    Dabei hat Meister Lampe den potentiellen Feind längst mit Nase und Gehör wahrgenommen. Auf ihre Augen können sie sich dabei weniger verlassen; sie sind nicht wirklich scharf und schon gar nicht geeignet Entfernungen einzuschätzen. Wenn Beutegreifer den meisterhaft getarnten Hasen immer näher auf die Pelle rücken, dann reduziert sich der Feldhasen-Herzschlag bis zur Hälfte. Statt 80 dann nur noch 40 Herzschläge pro Minute. Also entschieden regungsloser, wahrscheinlich nur, um die Tarnung nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Das haben Wildbiologen in umfangreichen Studien ermittelt. Ein weiteres Natur-Phänomen. Bei uns Menschen und vielen anderen Lebewesen ist es ja genau umgekehrt: je größer die Gefahr, je heftiger und schneller pocht das Herz.

     

    Reicht das Hakenschlagen zum Überleben?

    Wenn jedoch die sowieso schon sehr geringe Fluchtdistanz eines Hasen in der Deckung beispielsweise von Reineke Rotfuchs überschritten wird, dann „fliegt“ Langohr aus der Sasse wie Sprint-Superstar Usain Bolt aus den Startlöchern. Allerdings sogar noch wesentlich schneller. Mit bis zu 70 Stundenkilometern flitzt dann das Acker-Wiesen-Waldgeschoss über die Piste. Ausdauernd und nicht so leicht aus der Puste kommend. Fuchs und Haushund ziehen da meist den Kürzeren. Außerdem haben unsere heimischen Hasen bekanntermaßen noch das Hakenschlagen als angeborenes Ausweichmanöver beim Wettrennen im Survivals-Paket stets dabei. Zudem sind sie bei höchster Gefahr auch in der Lage, aus dem Stand zwei Meter hoch und bis drei Meter weit zu springen. Dann muss es um den niederrheinischen Hasenbestand ja gut bestellt sein, oder!? Leider gar nicht. Wieder einmal geht es einer liebgewonnen Wildtierart zunehmend ans Fell. Allerdings nicht gleichermaßen überall in unserer Region. Da wo es noch ausreichend Wildkräuter, Deckung und wenige Störungen gibt, sind die Bestände noch relativ stabil. Lebensfreundliche Hasenreviere sind beispielsweise noch in der Mommniederung bei Voerde, im Orsoyer Rheinbogen bei Rheinberg, in der Rheinaue Walsum oder auch in der Hetter bei Emmerich und der Düffel bei Kleve.

     

     Hasenhochzeit

     Nur zur Hochzeit sind Hasen gesellig.

     Foto: Peter Malzbender

     

    Dennoch macht sich der Feldhase seit 1994 zunehmend „vom Acker“. Natürlich unfreiwillig. Bundesweit wird er auf den Roten Listen als gefährdet eingestuft. Und was sind die Hauptursachen? Der weiter grassierende Lebensraumverlust, Klimawandel, Nahrungsmangel und Nahrungsvergiftung vor allem durch industriell-intensive landwirtschaftliche Produktionsmethoden deklarieren Wildtierforscher und Fachbehörden europaweit als gefährliche Speerspitze des signifikanten Feldhasen-Rückganges. Die Jagd spielt dabei übrigens eine ganz untergeordnete Rolle. Die meisten Jäger am Niederrhein handeln da heute eher verantwortungsbewusst und machen einen Knick in den Lauf,
    wenn kein stabiler Hasenbestand im eigenen Revier ansässig ist. Wer weiß da schon, dass mittlerweile mehr Hasen durch den Straßenverkehr als bei der Jagd ums Leben kommen?! Selbst in naturnaher Kulturlandschaft am Niederrhein. Leider wird das Straßennetz auch in unserer Region immer weiter und oftmals wirklich überflüssig ausgebaut.

     

    Dauerregen macht krank

    Der Feldhase ist ein echter Kulturfolger. Als ursprünglicher Buschsteppenbewohner hat er sich insbesondere im Laufe des vergangenen Jahrhunderts ausgezeichnet an die landwirtschaftlich genutzten Flächen angepasst. Am Niederrhein war er noch bis in den 80er Jahren in großer Bestandsdichte vielerorts vertreten. Ist ja auch kein Wunder: Schließlich bevorzugen die erdfarbenen Dauerläufer vor allem ebenes, fruchtbares Land. Am besten mit Hecken, ein wenig Ödland und kleineren Waldflächen aufgelockert. Alles Voraussetzungen, die lange Zeit in unserer Region vorherrschten. Und auch das Klima war prima. Die dichtesten Hasenpopulationen findet man in klimatisch warmen Niederungslagen mit einer mittleren Jahrestemperatur von über 8 Grad Celsius und einer maximalen Jahresniederschlagsmenge von 500 Millimetern pro Quadratmeter. Leider alles Schnee von gestern. Starkregenperioden haben in den letzten Jahren bei uns spürbar zugenommen. Dabei geht der Hasennachwuchs häufig baden. Insbesondere in der Setz- und Aufzuchtzeit von März bis Juli. Die Zahl der überlebenden Junghasen ist in nassen Jahren deutlich geringer. Auch die Alt-Hasen sind dann wesentlich anfälliger für Krankheiten. Der Hase ist das kleinste Säugetier Mitteleuropas, das sich in keinen schützenden Bau verkrümelt. Selbst wenn die Witterung niederrheinische Wiesen, Weiden, Felder und Wälder mit anhaltenden Dauerregengüssen malträtiert. Langohr muss aushalten. Dabei ist sein Fell für penetrante Dauerduschen nicht ausgestattet. Bis zu einem Liter Wasser können sich dabei in seinem Haarkleid ansammeln. Unterkühlung ist die Folge und nicht wenige „Osterhasen“ haben dann „ausgeeiert“.

     

    Fehlende Wildkräuter gefährden Hasenbestand

    Noch schlimmer beeinflusst zunehmend das Fehlen von Wildkräutern die Vitalität ganzer Hasenpopulationen. Hauptursache dafür ist Überdüngung. Zusätzliche Stickstoffe regnen herab, die vorher von unseren Autos als Stickoxide in die Wolken geschickt wurden. Dies alles führt zu massenhaftem, eiweißreichem Pflanzenwuchs. Hasen nehmen davon reichlich auf; sind vollgefressen und leiden trotzdem Hunger. Ihnen fehlen die Kraftstoffe, die sie normalerweise in vielen Wildkräutern vorfinden; aber die wiederum wachsen so gut wie gar nicht auf überdüngten Flächen. Was übrigens sogar dafür verantwortlich sein soll, dass rund 30 Prozent der allzeit bereiten männlichen Rammler mittlerweile an Zeugungsunfähigkeit leiden, so die Forscher. Gar nicht lustig, wenn man bedenkt, welchen Aufwand Feldhasen betreiben, um sich fortzupflanzen.

     

     Rammler verfolgen Häsin

     Gleich drei Rammler verfolgen die Häsin.

     Foto: Peter Malzbender

     

     Wildes Geraufe

     Wildes Geraufe gehört zum Paarungsritual.

     Foto: Peter Malzbender

     

    Tagelang läuft der Rammler seiner auserwählten Häsin hinterher. Begleitet sie überall hin. Prügelt sich mit Nebenbuhlern. Flitzt ihr auch im Eiltempo nach, inklusive Körperkontakt. Der Dank ist dann meist eine blitzartige Pirouette der Häsin, die auf den Hinterpfoten stehend erst einmal mit den Vorderpfoten kräftig dem Rammler auf dessen Brust trommelt. Was dieser erwidert. Nicht selten fliegen dabei die Fellfetzen.

     

     Turbulente Paarung

     Turbulent geht es zu, bis die Häsin zur Begattung bereit ist.

     Foto: Peter Malzbender

     

    Gestattet die Häsin nach Tagen der Liebesmühe endlich eine Begattung, ist diese nach Sekunden bereits vorbei. Aber der Rammler kommt dann mehrmals täglich zum Zuge. Nicht selten kommt auch noch ein weiterer Rammler zu seinem Vergnügen. Die Jungenaufzucht erledigt die Häsin vollkommen alleine. Bis zu dreimal im Jahr kann sie Nachwuchs aufziehen. Fast ausschließlich in der Nacht sucht sie ihre Kleinen zum Stillen auf. Es ist allerhöchste Zeit, dass europaweit wieder eine nachhaltigere Landwirtschaft ohne Dauerbeschuss von lebensfeindlichen Chemiecocktails praktiziert wird. Nur dann haben viele Tier- und Pflanzenarten bei uns eine Überlebenschance.
     

    Artikel von Peter Malzbender, April 2017


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