Ellen Werner päppelt seit Wochen eine verwaiste Nilgans auf
Das hilfesuchende Fiepen eines kleinen Federknäuels erwärmte die Herzen von Ellen Werner und Tochter Lina. Mutterseelenallein stolperte die erst wenige Tage alte Nilgans in der NABU-Naturarena in Wesel-Bislich herum. Ganz in der Nähe des Trafoturmes, in dem hoch oben in einem Schleiereulenkasten die Nilgans gebrütet hatte. Weit und breit waren weder die Altvögel noch die kleinen Geschwister zu entdecken. Die Gänsefamilie war auf und davon. Das schutzbedürftige Gänseküken hatte es nicht geschafft, den Anschluss zu halten.
"Gänsesitterin" Ellen Werner mit der jungen Nilgans "Hopsi". Foto: Peter Malzbender |
Seit sieben Wochen nun betreut Ellen Werner, Vorstandsmitglied des NABU, rund um die Uhr „Hopsi“. Dabei hat die selbständige Sozialwissenschaftlerin selbst alle Hände voll zu tun. Anfangs wog das Küken gerade einmal 50 Gramm. Mittlerweile sind schon ein paar Hundert Gramm dazugekommen. Ellen ist für "Hopsi" die Mama. Gerade die kleinen Gänseküken prägen sich schnell auf den menschlichen Fürsorger. Suchen auch ständig mit Stimmfühlungslauten ihre „Mama“. Dies ist bei Verhaltensforschern schon lange bekannt. Die ersten Nächte war der kleine Racker auch erst zufrieden, wenn er sich am Hals und unter den langen Haaren seiner Gänsesitterin einkuscheln konnte. Körperkontakt ist dem Gänsenachwuchs bis heute sehr wichtig. Stubenrein ist so ein Küken natürlich auch nicht. „Da muss man ständig hinterher und wischen“, so Ellen Werner. Doch das nimmt die 40jährige in Kauf.
Mittlerweile schläft Junggans „Hopsi“ nachts in einem geräumigen Weidenkorb zusammen mit zwei Plüsch-Kuscheltieren. Der Korb muss natürlich neben dem Bett stehen, abgedeckt mit einem großen Handtuch. Beim ersten Morgenlicht signalisiert die kleine Gans mit zaghaften Lauten und Schnabelklopfen, dass es ruhig losgehen kann. Erstaunlich ist, dass der Vogel doch so lange geduldig wartet, bis Ellen Werner das Go gibt. Dann gibt es erst einmal frisches Wasser und Kükenaufzuchtfutter. Ganz schön verfressen so eine junge Gans, könnte man meinen. Allerdings verbraucht eine längere Ruhepause gerade in der Wachstumsphase auch viel Energie.
In ein paar Wochen ist "Hopsi" flügge. Foto: Peter Malzbender |
Zwischen vier und fünf Stunden täglich ist „Hopsi“ draußen im Garten und labt sich an pflanzlicher Nahrung. Ein vertrauter Mensch muss immer noch in Sichtweite sein. Sonst meldet sich das gefiederte Watscheltier mit stimmgewaltigem Hilfeschrei. Ellens Mutter Nell muss oftmals aushelfen mit Kuscheln und Streicheleinheiten. Sternstunden für die junge Nilgans ist der regelmäßige Ausflug zum großen Teich in die Naturarena. Hier schnabuliert der Schwimmvogel im Uferbereich nach energiereicher Pflanzennahrung. Wenn „Hopsi“ voll flugfähig ist, soll sie hier auf dem Areal ihrer Brutstätte wieder in die Natur entlassen werden. Trotz der zeitintensiven Betreuung hat Ellen Werner jetzt schon ein mulmiges Gefühl vor dem Abschiednehmen.
Artikel von: Peter Malzbender, April 2020